Quartalsbericht Nr. 1
In einem Taxi stehen, der Fahrer telefoniert, einer lehnt sich aus dem Fenster und schreit heraus und pfeift. Es läuft mit ultrahochaufgedrehtem Bass der Plastikhouse von Metro FM. Das Taxi schleicht über die vollgestopfte Steven Biko Road. Links und rechts sind in der untergehenden Sonne tausende Häuschen, zusammengeschusterte, schiefe, elende Wellblech- und Holzhütten mit Steinen und Reifen auf den Dächern und aufgereihten Dixiklos davor eng aneinander gedrängt, dazwischen Braaigrills, die schwarze Rauchwolken über die Flats ziehen lassen und Müll. Improvisierte Marktstände mit Orangen, Bananen, Elektronikzeugs… und die hupenden, polternden, rumpelnden, holpernden Autos, die langsam und klappernd über die Straße schleichen, vorbei an Zäunen und Laternen und offenem Feuer. Frauen, mit gebundenen oder geflochtenen Haaren, die zwischen den Hütten auf den schmalen sandigen Wegen umhergehen, teilweise Dinge auf dem Kopf balancierend oder mit auf den Rücken gebundenen Babys, zwischen diversen Tuck-Shops hindurch und lachen und sprechen und rufen.
„Awê, howzit bra?“ werde ich von dem gerade Eingestiegenen gefragt, der sich jetzt eng neben mich quetscht. „Alright man, sharp bra“. Hände auf den Taschen lassen. „Do you have a Rand please man?“ ist dann das erste, was ich höre als ich aussteige. Ich lehne freundlich ab, gehe weiter, doch der Bittsteller folgt mir beharrlich, also das äußerste Mittel: „HEY, VOETSEK MAN!!“ Ich habe den Eindruck, dass viele hier die Erfahrung gemacht haben, dass die wenigen Weißen, die sich nach Gugs verirren, sobald sie gefragt werden einige Geldstücke fallen lassen. In den nächsten 10 Minuten folgen 5 ähnliche Versuche.
Gugulethu liegt in den Northern Suburbs. Da in der Apartheid Schwarze nicht in den Städten leben durften wurden sie hier angesiedelt. Dementsprechend ist die dominierende Sprache auch isiXhosa. Es gibt viele dieser Gebiete, deren Namen teilweise so euphemistisch sind, dass es ans Perverse grenzt (Kayamandi zum Beispiel heißt „schönes Heim“), die sich mit dem Wegfall des Group Areas Act, der diesen rassenideologischen Schwachsinn normierte, teilweise exponentiell vergrößerten. Bestes Beispiel dafür ist Khayelitsha, wo aus ein paar Gebäuden nun der Wohnort für hunderttausende geworden ist. Und das muss man sich auch immer wieder klar machen: in diesen Shacks leben Menschen und das für eine lange Zeit. Man neigt beim Anblick dieser förmlich gestapelten Hütten, zwischen denen gelegentlich Holzpflöcke hervorragen, immer wieder dazu, das zu vergessen.
Im Übrigen sollte man, wenn man über solche Townships schreibt ebenso vorsichtig sein, wie wenn man durch sie geht.
Erstmal sollte man nichts romantisieren, denn die Leute die dort leben, leben dort nicht freiwillig. Andererseits sollte man jedoch auch nicht das westliche Klischee der ewig unglücklichen oder der zwar armen aber glücklichen (es gibt verschiedene, immer gleichblöde Variationen) Townshipbewohnern bedienen, was extrem leicht fiele, da man ja ohnehin auf das fokussiert, was man erwartet. Jeder, der irgendwo lebt, hat eine ähnlich differenzierte Stimmungspalette. Oder wie die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie sagt: „the promblem with stereotypes is not that they are untrue, but that they are incomplete”.
Normalerweise halten wir uns nicht in Gugulethu auf. Das wäre auch viel zu gefährlich. In dem beschriebenen Fall war ich einfach gedankenverloren in das falsche Sammeltaxi gestiegen. Schon in Retreat, wo wir leben ist es nicht ungefährlich und es hat schon einige Überfallsversuche auf uns beide gegeben. Diesen Samstag wurde ich von zwei Männern ausgeraubt. Der eine legte mir von hinten einen Ledergürtel um Hals und Brust, während der andere mir in die Taschen griff. Das ganze ging dann als Kampf auf dem Boden weiter und konnte erst mit dem Zurhilfekommen eines Autofahrers beendet werden. Äußerst frustrierend war dann auch noch der Umgang mit der örtlichen Polizei, die sich faktisch geweigert hat etwas zu unternehmen und in keiner Hinsicht hilfreich war. Ein weiterer dreister Versuch bestand bei mir darin, dass drei Leute auf mich zugekommen sind, der eine probiert hat, mich zu umarmen, während die anderen mir die Taschen plündern wollten. Ich habe es gerade noch geschafft, ihn wegzustoßen und bin anschließend so schnell es ging zur Tankstelle gelaufen, von der ich wusste, dass dort Überwachungskameras installiert sind. Mein Zimmergenosse und etwaiger Kumpane Christopher wurde von einer Gang schon die Mainroad heruntergejagt und im Zug beinahe in eine Schlägerei verwickelt. Man lernt, wie man mit vielen Leuten umzugehen hat und es hilft auch etwas, den Cape Town Slang zu sprechen doch oftmals ist es auch einfach vom Glück abhängig, ob man dran glauben muss oder nicht.
Nach der Verfolgungsjagd haben sich unsere Gasteltern, Aubrey & Mac, einen richtiggehenden verbalen Kampf mit den Verfolgern, die sie aufgespürt hatten geliefert. Aubrey hat als alter Militär hat nicht lange gefackelt, sondern ist gleich, mit verschiedensten Beschimpfungen aus dem Auto getreten. Ich weiß nicht wie oft das Wort Fark und sogar Naaiers gefallen ist (beides harte Afrikaans Beleidigungen). Ein handfester Streit entbrannte alsbald auf offener Straße. Die eine Frau aus der Gang zog ein Messer aus der Tasche, dass sie zum Glück aber nicht benutzte. Aubrey war extrem einschüchternd, wohingegen Mac versuchte mit den Menschen zu diskutieren. Letztlich ist die Szene dann glimpflich ausgegangen, doch das spezifische Verhalten von Aubrey & Mac sagt einiges über ihre Charakter aus. Aubrey ist Ex-Militär und hat sich gelegentlich noch dementsprechende Haudrauf-Manieren erhalten. Mittlerweile ist er wegen eines Schlaganfalls und Diabetes vorzeitig pensioniert. Mac, eigentlich Magdalena, von allen aber nur Auntie Mac genannt, ist eine sehr taffe und gleichzeitig (so verstaubt das vielleicht klingen mag) sehr gütige Frau. Mac ist jedermanns Freundin und selbst bei der größten Verfehlung beharrt sie darauf, an das Gute im Menschen zu glauben. Das kann Aubrey wiederum nicht verstehen und während er versucht seine Meinung lautstark auf Afrikaans durchzusetzen, lacht Mac auf eine ihr eigene Art und Weise in sich hinein und lässt ihm diesen Freiraum. Mac ist abstinent und obwohl auch Aubrey nur in äußerst seltenen Fällen trinkt, meint er, wir sollten unser Leben in vollen Zügen und Schlucken genießen. Als er uns zum Beispiel zur Longstreet, einer der Partymeilen Kapstadts, brachte, sagte er uns fröhlich, er hätte das ja eben vor seiner Frau nicht recht ausdrücken dürfen aber er wünsche uns jeden erdenklichen Spaß heute Nacht. Den hatten wir dann auch und als wir gegen 5 Uhr Morgens wiederkamen und den Schlüssel nicht dabeihatten, machte er uns mit verschmitztem Grinsen die Tür auf (ich musste dabei über den Zaun klettern und unser Gastbruder Rodney, der gerade von der
Spätschicht kam, stand die ganze Zeit mit Luftgewehr hinter dem Vorhang, da er Einbrecher vermutete).
Christopher und ich teilen uns im Haus ein Zimmer, das ausreichend groß und relativ gemütlich ist; wir haben sogar ein eigenes Bad mit Dusche, was absolut keine Selbstverständlichkeit ist. In den Townships wäscht man sich mit Waschwannen. Vielfach gibt es kein fließendes Wasser.
Mac ist nicht sonderlich in Politik interessiert, Aubrey hingegen schon und neigt auch dazu während der Parlamentsdebatten seine Meinung dem Fernseher und allen Anwesenden mitzuteilen.
Apropos Politik: bekanntermaßen ist der deutsche Bundestag wohl das langweiligste Parlament weltweit, zumal mit derzeit großer Koalition. Nicht so das südafrikanische. „Eine Partei unwürdiger Schweinetreiber“, „Unser Präsident ist ein geiler Bock mit Königsallüren. Kein Wunder, dass er andauernd zu Robert Mugabe rüberfährt“, „Ich werde mich nicht von einer Horde dahergelaufener Hurensöhne erniedrigen lassen!“, „An euren Händen klebt Blut!“
„Point of order honorable member“, „Pay back the money, pay back the money!”.
Die Dispute im Parlament sind handfest und man merkt, dass die Mitglieder der jeweiligen Parteien für ihre Meinung einstehen und sich nicht insgeheim verbrüdern. Trotzdem kann so keine produktive und effiziente Parlamentsarbeit zustande kommen und viele Einheimische sagen zurecht „this is not a parliarment, it is a circus.“ Immerhin ein unterhaltsamer Zirkus. Da wäre erstmal Jacob Zuma, der Präsident: 6 Frauen und so offensichtlich Korrupt, dass angesichts seiner Veruntreuung selbst eine griechische Steuerklärung noch wie der Quell der Wahrheit erscheint. Totaler Amtsmissbrauch an diversen Fronten. In der „Barn“, der Kneipe auf dem Universitätscampus der UWC habe ich zusammen mit einem der Peer Educators, Studenten, die auch in der HIV/AIDS-Unit mitarbeiten, ein Gedicht auf Jacob Zuma geschrieben, welches mit den folgenden zwei Versen endet:
„The very only person, I´d really like to hit;
in summer and in winter Jacob Zuma talks much shit!”
Meine profane deutsche Nachdichtung hierzu lautet:
„Ich würd ihn gerne schlagen, damit es jeder weiß;
im Sommer, wie im Winter labert Zuma großen Scheiß!“
Auf der anderen Seite steht ein Ex-ANC Mitglied, Julius Malema, der ärgste Widersacher Zumas im Parlament, der jedoch zumindest in der Vergangenheit nachweislich ebenfalls korrupt war.
Die aktuelle Politik, so zum Beispiel auch das, von allen als viel zu schwach angesehene, Urteil gegen Oscar Pistorius ist eines der Lieblingsthemen an der Uni. Vor allem die Peer Educators sind in dem Bereich sehr rege am diskutieren.
Innerhalb der Unit sind die Peer Educators vor allem für die Interventionen an Schulen oder Research-Projekte in den Communities verantwortlich. Die Communities, inetwa vergleichbar mit den deutschen Gemeinden, sind hier eine eigene auch quasijuristische Instanz. Aufgrund mangelndes Vertrauens in die Polizei wird bei Verbrechen innerhalb der Community ein Rat einberufen, in dem dann über die Strafe, die häufig öffentliche Bloßstellung einschließt, entschieden wird.
Einige Male durfte ich auch auf solche Interventionen, bei denen es sich vor allem um soziale Themen, wie zum Beispiel Geschlechterrollen (Frauen haben gesellschaftlich noch eine sehr schwache Stellung) und andere, den Virus betreffende Themen geht, mitkommen. So zum Beispiel an der Usasazo High School in Khayelitsha, wo wir neben Sexualkrankheiten auch die Zukunftspläne der Schüler zum Thema hatten. Erstaunlich viele Schüler wussten nicht, nicht einmal ungefähr, was sie einmal machen wollen und erschreckend viele der Schülerinnen sagten, dass sie ohnehin einmal einen Sugar Daddy kriegen würden. Ein Sugar Daddy ist ein normalerweise älterer Mann, der einem Teenager oder jungen Erwachsenen Geld gibt und dafür verschiedene Gegenleistungen erhält, Sex kann dazugehören.
Prinzipiell ist auffällig, wie offen über Sex gesprochen wird, selbst bei unter fundamental religiösen Leuten.
Vor etwa einer Woche war ich in einem Forschungsprojekt in Mfuleni. Hier wurde ich von den Schulkindern ausschließlich mit „Weißer Mann“ angesprochen und bei dem kleinen Tanzwettbewerb, auf den die Kinder insistierten, habe ich dann wirklich blamabel verloren – ausgelacht zu werden war selten schöner.
Mfuleni liegt einige Kilometer nördlich von Kapstadt und hat fast dörflichen Strukturen. Die Peer Eds haben lange Unterhaltungen geführt, bei denen Schüler und deren Eltern zu ihrem gegenseitigen Verhältnis ausgefragt wurden. Die Gespräche wurden aufgezeichnet und werden derzeit ausgewertet. Schwierig bei Interventionen in solchen Gegenden ist die Sprachbarriere, da viele der Schüler ausschließlich isiXhosa sprechen können, was für eher westlich sozialisierte Menschen kaum zu verstehen ist. Mittlerweile verstehe ich Afrikaans relativ gut und spreche einige rudimentäre Fetzen, aber Xhosa – keine Chance. Da die Einheit mit der Stadtverwaltung zusammenarbeitet, werden auf dem Campus, der ebenfalls einem kleinen Dorf gleicht auch immer wieder Seminare abgehalten, in denen Arbeitslosen verschiedene grundlegende Computerfertigkeiten, wie man einen Lebenslauf und eine Bewerbung schreibt etc. abgehalten, bei denen wir dann assistieren dürfen. Mal, indem wir mit der Elektronik zur Hand gehen, mal sind wir aber auch in den Vortrag integriert und können selbst ein wenig erzählen, was angesichts dessen, dass die meisten Teilnehmer älter sind als ich, etwas seltsam sein kann. Auch bei AIDS Tests, die auf dem Campus stattfanden durfte ich schon assistieren. Für viele ist das ein sehr aufregender Moment, da auch beruflich noch sehr viel von dem Status abhängt.
Abgesehen von Interventionen gestaltet sich die Arbeit an der UWC aber auch teilweise sehr monoton! Viel stupide Büroarbeit, viele Praktikantentätigkeiten, Zeug in Excel und Word einhacken, Bänder flechten usw., was dann weitaus weniger zufriedenstellend ist.
Ursprünglich war ja geplant, dass ich im Red Cross Hospital, einem extrem großen Kinderkrankenhaus in Rondebosch arbeite. Dort wurde ich auch vorgestellt und eingeführt, bin allerdings über einen Arbeitstag nicht hinausgekommen, da das Krankenhaus neuerdings die Forderung stellt, dass jede/r Freiwillige eine monatliche Gebühr von 750 Rand (über 50 Euro) bezahlt. Da das nicht in den Verträgen erwähnt wird weiß niemand so genau, ob da nun Korruption im Spiel ist oder ob es sich nur eine bizarre Art, Einnahmen zu generieren handelt… Einerseits ist das sehr schade, da mich die Arbeit dort, die Patienten spielerisch beschäftigen/ablenken, sehr gereizt hätte. Andererseits ist der Job bei der South Peninsula High School, den unser Mentor Lionel für mich organisiert hat ein absolut würdiger, vielleicht sogar besserer Ersatz.
Um zu verstehen, was für eine Schule die South Peninsula High ist muss man das Schulsystem in Südafrika kurz beleuchten. Erstmal ist Schule kostenpflichtig, was die, ohnehin schon immensen Klassenunterschiede nur noch weiter zementiert, denn es gibt Schulen, bei denen das Schulgeld mehrere Hunderttausend Rand beträgt und solche, bei denen es nur wenige tausend sind. Dementsprechend variieren auch die Ausstattungen der Schulen und deren Gebäude extrem. Das Bishops Diocesan College zum Beispiel, eine Schule in Newlands hat mehrere Rugbyfelder, ein eigenes kleines Schwimmbad, komplett elektronische Klassenräume und ein riesiges Schulgelände mit weiß getünchten, reetgedeckten Schulgebäuden, einem Teich usw. Dafür müssen die Schüler, bzw. deren Eltern auch jährlich die Summe von 300 000 Rand (über 21 000 Euro) blechen, um diese Privilegien genießen zu können. Müßig zu erwähnen, dass historisch impliziert, fast ausschließlich weiße Schüler die Schule besuchen.
SP ist eine Schule, auf die hauptsächlich Coloureds und Schwarze gehen. Die school fees liegen bei 5000 Rand jährlich und die Gebäude sind sehr zweckmäßig. Beton ist die dominierende Bausubstanz. Zwei Stöcke, Räume quadratisch, viele vergitterte Fenster. Gelbe Wände, von denen hier und da der Putz abbröckelt, die Schultische in Reih und Glied. Der Schulhof ist ein kleines Teerfeld und es gibt einen Sandplatz vor der Schule, auf dem Fußball und Rugby gespielt werden. Manchmal kann man sich des Eindrucks eines Gefängnisses nicht erwehren.
Die Schüler kommen vor allem aus den umliegenden Gebieten, etwa aus Steenberg. Viele haben familiäre Probleme, etwa Drogensucht der Eltern. Einige sind auch selbst süchtig (eine besonders zerstörerische der gängigen Drogen ist Tik: schlecht gestreckte Amphetamine) oder in die Gangszene verwickelt (vor allem 26 der Number Gang). Vor einem Monat durfte ich einem Gespräch beiwohnen, das mit einem Schüler geführt wurde, der der Schule einige Instrumente gestohlen und dann für Drogen versetzt hatte. Jetzt bezahlt die Schule einen Teil seines Entzugs und er muss dafür regelmäßig Rückmeldung erstatten. Ihm gings so richtig beschissen. Mit starrem Blick und Ringen unter den Augen erzählte er, wie sehr er sich danach sehne, wieder Drogen zu nehmen. Es gibt einige Fälle ungewollter Schwangerschaften und heute ist ein Mädchen betrunken zur Schule gekommen. Die haben Lenrick und ich dann direkt wieder zurück nach Hause geschickt, auch, wenn sie wahrscheinlich gerade da wegwollte. Sonst hätte ihr ein Schulverweis gedroht.
Lenrick und Miss Gordon sind die Musiklehrer an der Schule. Beide haben sich sehr bemüht, mich zu integrieren und das auch wirklich gut geschafft. Ich habe jetzt schon bei einigen Schulkonzerten mitgespielt und vergangenen Samstag sogar bei einem Konzert, dass Lenrick mit eigenen Arrangements am UCT (University of Cape Town) gegeben hat. Dafür hatte er vorher ein Ensemble zusammengestellt und mit demselbigen einige Male geprobt. Das Konzert war mit über 150 zahlenden Gästen gut besucht und die Musik war exzellent, mit einem hervorragenden Gruppenklang und es hat mir extremen Spaß gemacht mitzuspielen. Lenrick selbst spielt vor allem Saxophon und Klavier. Ursprünglich war er Altsaxophonist und hat auf diesem Instrument sogar zwei Jahre in der Big-Band von Abdullah Ibrahim gespielt, bevor er nach Südkorea ging und dort ebenfalls zwei Jahre gelebt hat. Als er zurückkam war er dann extrem krank und musste 6 Monate im Krankenhaus verbringen, wurde unter anderem künstlich beatmet und wog zwischenzeitlich nur noch 49 kg. Weil er jetzt auch noch gelegentlich Atemstörungen hat, ist er auf Tenorsaxophon umgestiegen und versucht sich langsam wieder an seine alte Form heranzuarbeiten. Er ist 29 Jahre alt und hat einen hervorragenden Draht zu den Schülern. Außerdem ist er der Leiter der beiden Schulbands, in denen ich jetzt auch mitspiele.
Die Schule hat einen besonderen Fokus auf Musik und Kunst gerichtet und erhält in diesen Bereichen auch staatliche Förderung. Meine Hauptarbeit liegt auch in Assistenztätigkeiten im music department. Ich leite die Bläsersektionen der beiden Bands, sitze in Examen und bewerte, helfe den Musiklehrern bei verschiedenen Tätigkeiten und unterrichte zurzeit 3 Anfänger auf der Trompete. Eine Schülerin schwänzt sogar gelegentlich, um mit mir üben zu können. Überhaupt macht es sehr viel Freude mit den Schülern zu arbeiten, da die mich zwar alle noch Sir nennen aber gleichzeitig mit dem Vornamen ansprechen und auch sonst ein ganz kumpelhaftes Verhältnis zu mir haben. An der Schule habe ich mich insgesamt sehr gut eingefunden und was ich dort mache wird nicht nur gewürdigt und unterstützt, sondern ist auch sinnvoll – etwas, womit ich mich identifizieren kann und das macht vielleicht den Schlüssel zu einer guten Arbeit aus.
Ansonsten ist Kapstadt eine der großartigsten und vielfältigsten Städte, die man sich vorstellen kann. Reiner Eklektizismus. Wir gehen häufig surfen in Muizenburg und langsam ist auch der Fortschritt erkennbar. Ein sublimes Gefühl, auf der Kuppe einer Welle zu stehen, von der Welle mit einer ungeheuren Wucht in Richtung Strand gedrückt zu werden. Etwas nervig ist, dass immer wieder Haie gesichtet werden, allerdings gibt es professionelle shark spotters, die eine ziemlich gute Arbeit machen und mittels Sirenen vor den Tieren warnen.
Heute war die Luft klar, sodass man die einzelnen Felsen der Berge sehen konnte, das Wasser in verschiedenen Blauschattierungen, von türkisen Tönen durchsetzt, die Hitze lag wie eine Glocke über der Szene.
Die grüne Flagge wehte im kapstadttypischen Wind, d.h. keine Gefahr, ich ging ins Wasser, die Sonne stand kurz vor dem Zenit, das Wasser war warm – – – nur die Wellen ließen deutlich zu wünschen übrig. Wahrscheinlich muss erst ein Hai in die Nähe des kilometerlangen weißen Strandes kommen, damit sich die Wellen wieder etwas rühren.
Zwar ist die Stadt in eine Bucht gebaut, was heißt, dass man überall großartige Strände und Lagunen finden kann, doch bei untergehender Sonne werfen Berge ihren Schatten langsam auf die Stadt. Direkt nach dem wandern kann man im Meer oder in den vielen Seen schwimmen gehen.
Es ist seltsam, dass ich eine Art Wir-Gefühl, einen irgendwie obskuren Lokalpatriotismus im Bezug auf diese Stadt entwickelt habe, zumal noch ein sehr starkes Klassendenken, eben das Gegenteil eines Wir-Gefühls, im kollektiven Bewusstsein vieler Menschen verankert ist.
Im Auto über die N1 nach Kapstadt rein fahren, lauter Jazz aus den Lautsprechern, rechts blickt man auf die Kräne des Hafens, links geht es Berghänge hoch. Der Fahrer meint, man könne eigentlich einen Kreislauf anfangen, aus Strand-Berg-Stadt, diese Stadt könne alles… Da muss ich ihm zustimmen. Es ist eine extrem schöne Stadt, es ist eine extrem kriminelle Stadt: als ich überfallen wurde kam ich gerade aus Muizenburg vom surfen, von einem Sandstrand der die Sonne ebenso, wie das Wasser reflektiert. Eine halbe Stunde später habe ich mich auf dem Boden mit zwei vermutlich drogensüchtigen geprügelt.
Trotzdem: bei all den Dingen, die gelegentlich Probleme bereiten und das sind nicht wenige – wie schön, hier sein zu können.
Sela.